Sind Pilze radioaktiv belastet?
15. September 2020, Lifestyle
Neulich im Supermarkt vor den Zwiebeln – ich reibe mir die Augen. Nicht, weil sie aufgeschnitten sind, sondern weil sie alle aus Neuseeland kommen. Ein paar einsame Netze aus Spanien, aber keine aus Deutschland. Ernsthaft? Zwiebeln haben ab Juli auch bei uns Saison. Muss man sie wirklich vom anderen Ende der Welt importieren? Vielleicht fragt ihr euch jetzt: Was hat das denn jetzt mit verstrahlten Pilzen zu tun?
Nun, seit meinem Zwiebel-Erlebnis sehe ich beim Einkaufen noch genauer hin. Ich wähle, wann immer es geht, Produkte aus der Region. Deshalb werde ich auch stutzig, als ich mir das Etikett auf den frischen Pfifferlingen ansehe. „Herkunft: Weißrussland“ steht da. Hmm.
Das ist doch das Land an der Grenze zur Ukraine, das aktuell unter dem Namen „Belarus“ politische Schlagzeilen macht und dessen Landesgrenze nur einen Steinwurf entfernt von Tschernobyl liegt. Bei dem Reaktorunglück im Jahr 1986 gehörte es zu den Ländern, die am stärksten radioaktiv kontaminiert wurden. Nochmal hmmm. Ich werde dann wohl etwas anderes kochen und mich erst einmal informieren, beschließe ich.
Born to be wild: Pfifferlinge, Steinpilze & Trüffel
Sind Pfifferlinge radioaktiv belastet oder nicht? Vermutlich nicht, denke ich, sonst gäbe es sie ja bei uns ab Mitte Juni bis Ende Oktober nicht an jeder Ecke zu kaufen. Aber zur Sicherheit starte ich dann doch mal eine Pilzsuche bei Google.
Erste Erkenntnis: Einige Wildpilze sind auch noch ein Vierteljahrhundert nach Tschernobyl radioaktiv belastet.
Zweite Erkenntnis: Pfifferlinge sind Wildpilze, genauso wie Steinpilze und Trüffel. Und die lassen sich nicht im großen Maßstab wie Champignons oder Shiitake-Pilze züchten. Sie wachsen meist im Wald, weil sie auf die Symbiose mit Bäumen angewiesen sind.
Tatsächlich bestätigen verschiedene offizielle Stellen, dass Waldpilze, aber auch Wildbret, in manchen Regionen Deutschlands immer noch stark mit radioaktivem Cäsium-137 belastet sind. Besonders Südbayern und der Bayerische Wald sind laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betroffen. Folglich empfiehlt das BfS: „Wer seine persönliche Belastung verringern möchte, sollte in den höher belasteten Gebieten Deutschlands auf den Genuss selbst erlegten Wildes und selbst gesammelter Pilze verzichten.“
Aber ich will ja eigentlich nur eine Handvoll Pfifferlinge im Supermarkt kaufen und gar nicht selbst die Wälder durchstreifen und nebenbei Wildschweine jagen. Ich lese also weiter.
Mit Vorsicht zu genießen
Der EU-weite Grenzwert für die Strahlenbelastung von Pilzen liegt bei 600 Becquerel. Der Handel muss sicherstellen, dass nur Waren in den Verkauf kommen, die unter diesem Grenzwert liegen. Dennoch gibt es Ausreißer, wie das Münchener Umweltinstitut im Herbst 2019 bei Stichprobenkontrollen an Pilzen und Waldprodukten festgestellt hat.
Bei Import-Pfifferlingen aus Weißrussland wurde zum Beispiel in einem Münchener Supermarkt eine erhöhte Radioaktivität von 866 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Caesium-137 gemessen. Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass grundsätzlich alle Pfifferlinge, die hierzulande verkauft werden, belastet sind. Und auch nicht, dass alle weißrussischen Produkte belastet sind – bei der damaligen Messung wurden weitere Proben gezogen, die sehr niedrige Becquerel-Werte aufwiesen. Das Umweltinstitut weist auch darauf hin, dass einige Gebiete in Weißrussland sogar geringer mit Radiocaesium belastet sind als in Südbayern.
Würde man 700 Gramm der „verstrahlten“ Pfifferlinge verzehren, hat das BfS ausgerechnet, entspräche das in etwa der Strahlenbelastung eines Fluges von Frankfurt nach Gran Canaria. Soll heißen: Eine gelegentliche Portion Pfifferlinge kann der Körper vermutlich verkraften, so wie er dies auch mit der Strahlenbelastung bei Flugreisen oder beim Röntgen tut.
Ich habe in diesem Jahr trotzdem noch keine Pfifferlinge gegessen, da mir irgendwie der Appetit vergangen ist. Andererseits liebe ich Steinpilzrisotto, das ich ab und zu mit getrockneten Steinpilzen zubereite, die auch potenziell gesundheitsschädlich sein könnten.
Ich werde unser Lieblingsessen auch weiterhin kochen und dabei nicht mit dem Geigerzähler in der Küche stehen. Stattdessen setze ich – Achtung Werbung! – weiterhin auf Ökostrom. Ihr auch, hoffe ich. Denn so werden sich die Gefahren durch Atomstrom hoffentlich irgendwann von selbst erledigen.
Wie steht ihr zum Thema Radioaktivität im Alltag – übertriebene oder berechtigte Sorge?